Auch der nackte Wintersport ist für die ganze Familie

Unsere  Skifahrt  nach  Graubünden

Wir trafen uns auf dem Bahnhof in Chur, der alten Hauptstadt des Bünderlandes, und wurden von kundigen Schweizer Lichtfreunden in Empfang genommen, Zunächst ließen wir uns über die geographische Lage des für uns ausersehenen Skiparadieses unterrichten. Das Alpendörflein heißt Thalkirch und liegt in dem von der Rabiusa durchflossenen Safiental, einem Nebentale des Hinterrheintales. Es geht von diesem in nordsüdlicher Richtung nach der italienischen Grenze zu ab. Der nächstgrößere Berg von Thalkirch aus ist der etwa 20 km entfernte Splügen, über den die Grenze gegen Italien verläuft. Weiter südlich liegt die nächste größere italienische Stadt, Chiavenna. Hiernach wird sich jeder auf einer Landkarte der Schweiz die Stelle suchen können. In der Nähe einer Einsenbahnlinie liegt Thalkirch nicht; dies ist aber für uns gerade ein Vorteil: wir bleiben auf diese Weise schön unter uns.

Morgens 6 Uhr fuhren wir mit der Bahn das Hinterrheintal hinauf bis nach Versam-Station. Dort kamen wir in dichtem Schneetreiben an und machten uns sofort an den Aufstieg. Wir hatten einen Fußmarsch von 22 km vor uns und mussten dabei einen Höhenunterschied von etwa 900 m überwinden. Unsere Rucksäcke ließen wir mit dem Postschlitten befördern, für uns selbst aber zogen wir den Langlauf auf Schneeschuhen vor, da „Fußen”, wie der Schweizer das Laufen nennt, wärmer hält als fahren, zumal, wenn hierfür nur der offenen Postschlitten des Thalkirchner Posthalters Wieland Zinsli zur Verfügung steht. Da wir ausgiebige Rasten einlegten und der Neuschnee das Fortkommen erschwerte, langten wir erst abends am Ziel an.

Am nächsten Morgen konnten wir zu unserer Freude feststellen, dass die Schweizer Freunde eine glückliche Wahl getroffen hatten. Das Safiental ist wie sein berühmter Nachbar, das Engadin, ein weites, nach Südosten offenes, völlig der Hochgebirgssonne ausgesetztes Hochtal. Auf dem unserem Bauernhause gegenüberliegenden Ufer der Rabiusa steigen die Felswände schroff und gewaltig bis über 3000 m auf - ein herrlicher Anblick, namentlich wenn die Abendsonne den schneeigen Häuptern dieser Bergriesen einen purpurenen Schimmer verleiht. Auf unserer Seite erhebt sich dagegen der Berg ganz allmählich bis zur gleichen Höhe. Das Skigelände ist daher geradezu ideal und dem von Arosa oder St. Moritz durchaus ebenbürtig. Lawinengefahr besteht auf dieser Seite fast nie.

Wir bewohnten während der zwei Wochen ein geräumiges, einfaches Bauernhaus, in dem wir uns sofort ganz heimisch fühlten. Elektrisches Licht und eine vorzügliche Rundfunkanlange sind dort vorhanden. Das Wasser wurde uns aus einem etwa 200 m entfernten Feldbrunnen zugetragen.

Von wenigen Tagen, an denen es schneite oder neblig war, abgesehen, unternahmen wir regelmäßig eine größere Tour zu einem der umliegenden Gipfel, fuhren ein Stück ab und ließen uns, wenn es die Sonne mit uns gut meinte, in einer windgeschützten Mulde zu längerer Rast nieder, meist zur Mittagszeit. Von unserer Raststelle aus unternahmen wir - je nach Wetter - größere oder kleinere Ausflüge im Lichtkleid (→ nackt). Mit dem Sonnenbaden waren wir wegen der intensiven Wirkung der Höhensonne und der ultravioletten Rückstrahlung des Hochgebirgsschnees sehr vorsichtig. Zu schmerzhaften Verbennungen, die sonst leicht eintreten, kam es daher nicht. Nach einigen Stunden oder, wenn das Wetter kühl und windig war, auch schon früher, fuhren wir noch weiter ab und langten meist in den frühen Nachmittagsstunden wieder auf unserem Stammsitz an. Bei vielen Bergfahrten war uns unser Schweizer Freund Heiri Seitter aus Mels bei Sargans mit seinen reichen alpinen Erfahrungen eine große Hilfe. Herrliche Stunden haben wir da in Sonne und Schnee verlebt, und wunderbare Bilder haben sich in unserer Erinnerung eingegraben.

Unser Aufenthalt in Thalkirch war sehr billig. Für Quartier einschließlich guter Betten, Licht, Heizung und Küchenbenutzung zahlten wir täglich 1,20 RM (→ Reichsmark). Brot, Butter, Käse und Milch erhielten wir von unserem biederen Wirt zu mäßigen Preisen. Alles andere wurde aus Zürich auf Anruf binnen 24 Stunden durch die Post gesandt.

Willkommen sind alle auf dem Boden der Lebensreform stehenden Lichtfreunde und -freundinnen, frische, fröhliche Gesellen, die im Skilauf über die Anfangsgründe hinaus sind.

Rolf Schönfelder, Nossen
Text und Bilder:
Rolf Schönfelder
in „Freikörperkultur und Lebensreform” Heft 1, 1932

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